Das Reformpapsttum 1046 bis 1122/23 - Teil 4

Von Eintracht und Streit im Abendland - Der lange Atem von Sutri nach Worms

(Fortsetzung) IV. Von Bürgerkrieg und Wormser Konkordat
Nach dem kleinen Exkurs in das religiöse Umfeld der Reformpäpste des 11. und 12. Jahrhunderts über den Beginn der Kreuzzüge unter Papst Urban II. 1095 und dem Wandel des Selbstverständnisses des Episkopates hin zu mehr Unabhängigkeit vom römischen Kaiser nun zurück zu dem großen Streit zwischen Papst und Kaiser. Heinrich IV. und das Reich waren seit den Vorfällen von 1077 in Streit geraten. Der Riss, der die beiden Lager voneinander trennte, ging durch das ganze Reich. Bürgerkrieg herrschte.
Der Sohn des Kaisers, Heinrich V., sah in diesem lang anhaltenden Streit eine ernsthafte Gefahr für das Fortbestehen der salischen Königsdynastie. Er verbündete sich mit dem Papst gegen seinen Vater und zwang diesen 1105 zur Abdankung. Heinrich V. nahm daraufhin den Platz seines Vaters ein.
Auf den nun neuen König wurde große Hoffnung gesetzt, dass er den jahrzehntealten Konflikt mit dem Papsttum endlich beenden würde. Zunächst sah es aber nicht danach aus, denn er verzichtete ebenfalls nicht auf die Investitur, also die Berufung von Bischöfen - bis zum Jahr 1111. Dieses Jahr markiert einen Wendepunkt in dem Streit der beiden Universalmächte des Hochmittelalters.
Der König zog 1110/11 nach Italien, um sich von Papst Paschalis II. zum Kaiser krönen zu lassen. Der Papst sah darin eine Chance, die Streitigkeiten endlich beilegen zu können.
Man muss von Paschalis II. wissen, dass dieser nicht so wie Gregor VII. auf seinen Rechten beharrte und auf Konfrontation setzte, sondern mehr zu Verhandlungen und Kompromissen neigte.
Er schlug dem Kaiser ein Treffen vor, das die Angelegenheit klären sollte. Stattfinden sollte dieses in der Kirche St. Maria in Turi. Unterhändler hatten sich zuvor zusammengesetzt und alles Nötige vorbereitet. Im Zentrum sollte die Laieninvestitur stehen und der Verzicht darauf seitens des Königs. Dies war die Bedingung des Papstes für die Kaiserkrone. Interessant ist, dass unter den Vorverhandelnden auf Seiten des Königs kein einziger Bischof war. Warum, wird sich später noch zeigen.
In diesen Verhandlungen verzichtete Heinrich V. auf sein Investiturrecht. Der Papst machte das Gegenangebot, dass alle Reichsbischöfe in Zukunft auf ihre weltlichen Besitzungen verzichten und sich nur noch auf ihre geistlichen Tätigkeiten konzentrieren sollten. Einzig und allein die Schenkungen sollten im Besitz der Kirche bleiben. Die Durchsetzung sollte, wenn nötig, mit Hilfe des päpstlichen Banns erfolgen.
Dieser doch sehr vernünftig wirkende Vorschlag des Papstes wurde vom König akzeptiert. Die Gründe des Papstes für dieses Angebot waren folgende:
- Paschalis II. sah in der Verweltlichung der Bischöfe ein großes Übel für die Kirche. Wenn die Bischöfe also nur ihr geistiges Amt ausüben, dann entsteht auch keine Gefahr der Simonie. Denn wo keine Besitzungen sind, werden auch keine Ämter verkauft. Auch das Investiturproblem könne damit gelöst werden.
- Trennung von geistlicher und weltlicher Macht. Bischöfe sind zuallererst geistliche Würdenträger und haben nicht die Aufgaben eines weltlichen Fürsten zu übernehmen.
- Die Weihe als wichtigste Legitimationsquelle soll wieder zur Geltung kommen, nicht die Investitur.
Die ganzen Besitzungen der Bischöfe würden nach diesem Vorschlag wieder an den König fallen, was einen enormen Zuwachs er königlichen Gewalt im Reich bedeuten würde, weil sich so das weltliche Reichsgut ja stark vergrößern würde.
Am 12. Februar 1111 wurden die Beschlüsse, in Form von Urkunden, im Petersdom öffentlich verlesen. Daraufhin brach Empörung unter den Bischöfen aus, die mitnichten auf ihre weltlichen Besitzungen verzichten wollten. Der Adel sprach sich ebenfalls dagegen aus, da er andernfalls seine Vogteien und damit sein Schutzrecht über die Kirche verloren hätte, was mit enormen Geldeinbußen verbunden gewesen wäre.
Man kann vermuten, dass Heinrich V. seine Bischöfe gut genug gekannt hat, um zu wissen, dass diese niemals auf ihre Macht freiwillig verzichten würden. Also stellt sich die Frage, ob das ein falsches Spiel seitens des Königs gewesen war. Nun hatte er einen Sündenbock, auf den er die Schuld schieben konnte, um das Investiturrecht nicht abgeben zu müssen. Er konnte von sich behaupten, die Abmachung eingehalten zu haben, der Papst jedoch nicht. Er konnte sozusagen guten Willen bezeugen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Die Verlesung der Urkunden führte zu Unruhen, die auf die ganze Stadt übergreifen. Der König musste fliehen, ließ aber die Kardinäle und den Papst gefangen nehmen und entführte sie aus der Stadt.
In der Gefangenschaft zwang er den Papst, ihn zum Kaiser zu krönen unter Androhung, dass, sollte der Papst sich weigern, er die Kardinäle foltern und töten würde.
Der Papst willigte ein, da er das Leben der Kardinäle, für die er eine Fürsorgepflicht hatte, nicht aufs Spiel setzten wollte. Er versprach dem König, ihn zum Kaiser zu krönen und ihn niemals zu bannen. Des Weiteren verbriefte er dem König sein Investiturrecht. Der Sieg des Königs über den Papst schien vollkommen zu sein.
Jedoch ruinierte er mit dieser Aktion das Verhältnis zu seinen Bischöfen im Reich. Und auch wenn Paschalis II. sich Zeit seines Lebens an das Versprechen hielt, den Kaiser nicht zu bannen, wurde dieser jedoch von zahlreichen Bischöfen gebannt, unter anderem auch von dem Nachfolger Paschalis‘ II., Calixtus II. Was darauf folgte, war der Niedergang der Herrschaft Heinrichs V.
Dieser drückte sich nicht primär in den Bannflüchen aus, die über ihm verhängt wurden, denn der Bann über den König hatte an Bedeutung verloren seit den Tagen Gregors VII., sondern in der bischöflich-fürstlichen Opposition, die sich im Reich unter der Führung Adalberts von Mainz bildete. Mit dieser geriet Heinrich 1115 auch in einen militärischen Konflikt, den er verlor.
Der König entwickelte sich, je mehr der Einfluss der Fürsten im Reich zunahm, von dem maßgeblichen Akteur zunehmend zu einem Getriebenen. Der Aufenthalt in Italien 1115/16 war Ausdruck dieses Getrieben-seins. Er zog sich aus dem Reich zurück, weil er dort keine Bleibeperspektive hatte.
Paschalis II. starb 1118. Sein Nachfolger wurde Papst Gelasius II., der jedoch nur ein knappes Jahr im Amt war. 1119 wurde Erzbischof Gido von Burgund Papst und nannte sich Calixtus II. Er stammte aus dem Adel und war kein Kardinal. Er war Anhänger Gregors VII., also ein konsequenter Vertreter der Reformbewegung.
Die Wahl fand im Februar in Cluny statt, da Rom von einem Gegenpapst (Gregor VIII.) besetzt war. Dieser dankte erst 1121 ab, da Gregor VIII. fürchten musste, sonst in Kerkerhaft genommen zu werden. Im Juni 1119 wurde Calixtus II. anerkannt. Gleichzeitig wurde ein Reichsfrieden zwischen dem König und der fürstlichen Opposition geschlossen. Die Kämpfe setzten sich dennoch bis 1121 fort, die zu der Zeit zwischen den beiden Parteien tobten. 1121 wird dann ein dauerhafter Reichsfrieden geschlossen und Verhandlungen mit dem Papst aufgenommen. Das Reich war damals am Tiefpunkt angelangt und es drohte die Gefahr, dass aufgrund der innerlichen Schwäche ausländische Mächte eingreifen könnten.
Die Verhandlungen mit dem Papst erzielten jedoch keine Lösung, da der Papst auf dem Verzicht des königlichen Investiturrechts bestand. Auf dem Hoftag in Würzburg im gleichen Jahre drängten die Fürsten den König jedoch, endlich mit dem Papst Frieden zu schließen.
Das Verhalten der Fürsten nur damit zu erklären, dass diese die Gunst der Stunde erkannt hätten und ihre Macht im Reich ausbauen wollten, greift zu kurz. Sicherlich spielt das auch eine Rolle. Jedoch muss beachtet werden, dass gerade im elften Jahrhundert das Selbstverständnis der Fürsten sich gewandelt hatte. Man nahm das Reich nun immer stärker als transpersonale Institution war, die neben dem König auch noch aus anderen Teilnehmern bestehe und es da somit nicht nur auf den König allein ankomme. Die Fürsten sahen sich als Repräsentanten dieses Reiches. Da aber der König und das Reich miteinander verbunden waren, wäre der Bedeutungsverlust des einen dem anderen auch Schaden gewesen. Der König war ja nach wie vor das Oberhaupt des Reiches. Deswegen konnte man den König den Wagen, also das Reich, nicht vor die Wand fahren lassen, um ihn zu beseitigen, denn man saß ja eben auch in demselben. Und wenn das Reich sich selbst vernichten und dadurch andere Mächte ja geradezu auffordern würde, sich zu bedienen, wäre das auch für die Fürsten das Ende gewesen. Die Fürsten mussten das Reich also aus reinem Selbstschutz schon schützen, da sie im Laufe der Zeit zu den Repräsentanten des Reiches geworden waren.
Die Einigung wurde im Wormser Konkordat 1122 erzielt vor dem Hintergrund, dass nicht nur das salische Haus vor dem Abgrund stand, sondern eben auch das Reich.
Die Einigung bestand darin, dass der König auf seine Investitur mit Ring und Stab verzichtete, denn Ring und Stab sind beides Symbole der geistlichen Herrschaft und in der Kirche wurde der Standpunkt vertreten, dass der König trotz seiner Salbung nur ein Laie ist und daher kein Anrecht auf diese Verleihung hat. Außerdem trennte man ab sofort die weltliche Einführung in das Bischofsamt und die damit verbundenen Würden und Besitzungen strikt von der Einführung in das geistliche Amt des Bischofs. Im Reich sowie in Reichsitalien und Burgund wurde, unter königlicher Anwesenheit, als erstes der Kandidat nach kanonischer Wahl gewählt. Im Reich kam an zweiter Stelle die Investitur in die Regalien durch die Verleihung eines Zepters seitens des Königs und an dritter Stelle die sakramentale Bischofsweihe. In Reichsitalien und Burgund kam die Weihe vor der Investitur.
So wurde das königliche Investiturrecht vermindert, jedoch hatte der König im Reich noch verhältnismäßig viel Einfluss auf die Bischofswahl, denn die Weihe und damit die Erhebung ins Amt war durch die Investitur bedingt.
Dennoch wertete der Papst das Wormser Konkordat als Sieg, da die meisten der päpstlichen Forderungen durchgesetzt wurden und der König mehr Zugeständnisse machen musste.
Von einem Konkordat zu sprechen ist eigentlich nicht korrekt, da es sich mitnichten um einen völkerrechtlichen Vertrag handelte. Dieser Begriff wurde von Leibniz im 17. Jahrhundert eingeführt.
Diese Trennung der Spiritualia von den Temporalia ist maßgeblich beeinflusst von der Scholastik und war Voraussetzung für das Wormser Konkordat.
Die Scholastik war eine mittelalterliche Denkschule, die mittels Dialektik versucht, Widersprüche zu ordnen und Glauben mit Wissen in Übereinkunft zu bringen („Ich begreife, um zu glauben“).
Auf der Lateransynode 1123, dem Ersten Laterankonzil, das als ökumenisch und somit allgemein-kirchlich in die Geschichte einging, wurde die Einigung begrüßt. Dort wurden auch die beiden Urkunden, aus denen das Wormser Konkordat bestand, vorgelesen. Bei der Verlesung der Kaiserurkunde brandete großer Jubel auf, da man dachte, die Kirche sei nun endgültig aus der Gewalt des Kaisers befreit. Als jedoch die Papsturkunde vorgelesen wurde, war die Empörung groß. Der König hatte im Reich also doch noch ein Wort mitzureden bei der Einsetzung von Bischöfen. Dieses Konzil war auch nur deswegen kein Beginn eines neuen Konflikts, da der Papst rigoros durchgriff und erklärte, dass die Anwesenden kein Mitspracherecht hätten und er allein das zu entscheiden habe. Hier wird der Konflikt zwischen Kaiser und Papst seit Gregor VII. auch das erste Mal als Investiturstreit bezeichnet. Denn daran hatte sich der sehr viel tiefer gehende Konflikt zwischen den beiden Universalmächten, nämlich die Frage um die Vorherrschaft, entzündet.
Diese Einigung zwischen Kaiser und Papst kann auch als Ende einer Ära des Dualismus und als Beginn einer neuen Ära, dominiert durch das neue Verhältnis zwischen Papst, Kaiser und Fürsten, die sich nun als dritte Macht ansahen, bezeichnet werden.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass bis 1122 das Verhältnis zwischen König und Kirche maßgeblich durch den sakralen Charakter des Königtums bestimmt war, aus dem sich der Anspruch des Königs für den Schutz der Kirche verantwortlich zu sein, ableitete, ebenso die damit verbundene Kirchenhoheit, die sich in seiner Investitur niederschlug.
Nach 1122 veränderte sich das Verhältnis des Königs zu seinen Bischöfen stark, da dieses sakrale Anrecht im Zuge des Verzichts auf die Investitur massiv an Bedeutung verlor. Im zwölften Jahrhundert, vor allem in der Stauferzeit, wurde das Verhältnis zwischen dem König und den Bischöfen, aber auch den Fürsten allgemein, auf das Lehensrecht gestellt. In dem Wort „Lehen“ ist das deutsche Wort „leihen“ enthalten. Der König trat nun als Lehnsherr auf, der die Regalien im Reich an seine Fürsten auf Lebenszeit verleiht. Im Gegenzug leisteten die Fürsten, auch die Bischöfe, einen Eid auf den König, ihm Treue zu halten und ihm militärische Unterstützung zukommen zu lassen. Diese Heeresfolge war maßgeblicher Teil der Verpflichtungen des Lehnsmanns. Der Eid hatte zu damaliger Zeit eine außerordentlich starke Bindekraft. Der Bruch wurde härter bestraft als Totschlag.
Aus dieser beiderseitigen Lehensabhängigkeit gingen dann die Fürstbischöfe des Spätmittelalters hervor.

Christian Schumacher

Quellen:
- August Franzen/ Remigius Bäumer: Papstgeschichte. Das Petrusamt in seiner Idee und in seiner geschichtlichen Verwirklichung in der Kirche, Freiburg i. Br. 1974
- Scheidmüller, Bernd: 1111 – Das Kaisertum Heinrichs V. als europäisches Ereignis (Aufsatz)

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